Für viele, insbesondere ältere Seelen, ist Disziplin unter Umständen ein Reizwort. Vermutlich liegt es daran, dass wir alle noch ungute Erinnerungen an unsere Schulzeit haben, in der wir andauernd auf diese "Tugend" hingewiesen wurden. Das Wort stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Schule, Lehre Zucht.
Für alle, die ihre vierte interne Monade erfolgreich bestanden haben, hat der Begriff aber vielleicht eine neue Bedeutung gewonnen. Disziplin hat nichts mehr mit Zwang zu tun, eher im Gegenteil, Disziplin macht einem bewusst, dass es auch „die Freiheit der Wahl“ bedeuten kann.
MICHAEL benennt die Pole für Disziplin in folgender Weise:
Im negativen Pol von Disziplin steht Zwang, Druck und Durchsetzung. Zuckerbrot und Peitsche sind die Erziehungsmittel zur Disziplin, so wie wir es
kennen lernen, als junger Mensch oder auch als junge Seele. Aus Belohnung und Bestrafung entsteht die Motivation, etwas „Gewolltes“ zu tun oder etwas Ungewolltes zu unterlassen. Die Psychologie
spricht von positiven und negativen Verstärkern. Die Verhaltensforschung hat die positiven Verstärker als eindeutig wirkungsvoller erkannt.
Konzentration und Biss sollen zum Erfolg führen. Oft wird Disziplin mit Anstrengungsbereitschaft und Durchhaltevermögen verwechselt. Diese Qualitäten werden dann zum Selbstzweck, ungeachtet dem eigentlichen Wollen. Die Angst vor Versagen, Misserfolg, Strafe oder auch nur die Erwartung von Häme durch die Menschen in der Umgebung, diszipliniert, natürlich ist es ebenso, wenn eine Belohnung für den Erfolgsfall lockt. Im Leistungssport ist diese Art der Durchsetzung von Disziplin weit verbreitet.
Der positive Pol ist Unterstützung, Aufmunterung und Förderung. Hier besteht die Motivation nicht in äußerer Anerkennung oder Missachtung, sondern in der Freude am Erlebnis oder Ergebnis des Handelns an sich. Was keinen Spaß macht oder was am Ende nicht als erfreulich empfunden wird, lässt die Motivation schwinden. Disziplin ist hier geknüpft an persönliches Wohlgefühl und Entscheidungsfreiheit.
Jeder macht zunächst Erfahrungen mit dem negativen Pol, wenn es um Disziplin geht. Entwicklung findet immer vom negativen Pol zum positiven Pol hin statt. Alte Seelen, die für sich erkannt haben, dass man nur solange leidet, bis man für sich die Entscheidung trifft, nicht mehr leiden zu wollen, werden die positiven Verstärker bevorzugen. Wer in der Lage ist, innere Begeisterung für ein Ziel zu entwickeln und schon Freude am Fortschritt empfindet, muss nicht leiden. Die Belohnung steht nicht erst am Ende, schon der Weg ist die Belohnung.
Disziplin begleitet uns unser ganzes Leben, ob als Forderung aus dem Umfeld oder in Form von Selbstdisziplin. Sie hat ihren Auslöser immer im Außen. Es beginnt mit einer Inspiration oder Vision.
Oft sind es gesellschaftliche Richtlinien der Ethik, Moral, oder der religiösen Weltanschauung, die uns von Kindesbeinen an durch Lehrer oder Vorbilder vermittelt werden. Modetrends, Zeitgeist und die verschiedenen Varianten von Meinungsmachern in den Medien versuchen ebenfalls, uns zu beeinflussen. Es lohnt sich immer ein Abgleich, ob das, was uns da von außen angetragen wird, auch unserem eigenen Wollen entspricht.
Auch rationale Abwägung von Vor- und Nachteilen unseres möglichen Handelns erzeugt vernünftige Entscheidungen, die zu diszipliniertem Handeln führen kann, wenn man nicht die negativen Konsequenzen in Kauf nehmen möchte, die man schon selbst erlebt hat oder bei anderen beobachten konnte. Hier ist die Angst, Fehler zu machen, die treibende Kraft.
Es kann aber auch die tadellose Figur eines Models, der alte, aber immer noch fitte Nachbar oder der Beifall nach einem Tor im Fußballstadion, sein. Das will ich auch, so will ich auch sein, das möchte ich auch genießen, sind dann die Impulse, die uns in die Gedanken kommen. Ob Disziplin daraus wird, hängt dann davon ab, ob auch die notwendige Energie in uns steckt. Fehlt diese Energie, ist entweder der Zeitpunkt falsch, oder es kommt uns die Energie von anderen zu Hilfe oder - und das ist auch möglich - es ist für uns nicht richtig und jede Energie wäre verschwendet.
Dieser äußere Anstoß führt in jedem Fall zu einer Reflexion mit uns selbst. Es kommt zu einem Prozess, der von außen nach innen wirkt. Es werden Wünsche, Bedürfnisse oder Befürchtungen geweckt, durchdacht, gespürt und Entscheidungen getroffen. Das emotionale Zentrum ist ebenso involviert, wie das intellektuelle Zentrum. Problematisch erscheint es uns immer zu sein, wenn die Bedürfnisse von anderen im Gegensatz zu unseren eigenen Bedürfnissen stehen. Die einfachen Fragen: "Was hat das mit mir zu tun?" "Was möchte ich eigentlich wirklich?" helfen da schnell, Klarheit zu bekommen.
Disziplin fällt einem nicht in den Schoß. Ob es nachhaltig gelingt, diszipliniert zu sein, hängt von der eigenen individuellen Einstellung ab.
Unentschlossenheit (was auch eine gültige Entscheidung ist), Zweifel und hin - und hergerissen sein, kosten Energie, sie torpedieren nur jede Entwicklung und jeden Fortschritt.
Die Erreichung von Zielen – und zwar sowohl ob als auch wie man sie erreicht – ist zudem eine Frage von Abhängigkeiten und davon gibt es viele.
Man ist abhängig von den eigenen Gefühlen, wenn man sich durch Ängste oder Fantasien leiten lässt. Abhängigkeit von der Vernunft schließt oft spontane oder irrationale Entscheidungen aus und beschränkt so die Freiheit des Willens. Die Umstände und die Umwelt sind oft ein Hinderungsgrund, so wie auch die Zeit: Erst muss es besser werden oder erst muss etwas anderes geklärt oder erreicht sein.
Diese Taktik des Aufschiebens kann richtig sein, wenn man keine weiteren Gedanken und Energie dafür aufwendet, bis die Zeit reif ist. Selbstquälendes, anhaltendes Verschieben ist jedoch ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmig ist.
Disziplin ist im Grunde ein Prozess des Lernens, wie man Entscheidungen trifft. Erst wenn man begriffen hat, dass weder die Umstände noch die Zeit oder die Meinung von anderen zählen, sondern nur man selbst, erkennt man die Freiheit der Wahl. Man hat sie immer, alle Gegenargumente sind nur vorgeschoben, aus Angst, wegen Zweifeln oder fehlendem Mut. Angst, Gefühle und Schwächen sollten uns nicht kontrollieren, sondern indem wir sie erkennen und sie akzeptieren, als das was sie sind, behalten wir die Kontrolle über sie.
Disziplin bringt Freiheit, wenn wir uns gegenüber uns selbst verpflichten. Struktur, also klare, unmissverständliche Handlungsanweisungen für uns selbst, ist die Freiheit der Selbstbestimmung. Struktur ist notwendig, um sich der Freiheit gewahr zu sein und nicht wieder rückfällig zu werden, in Zweifel und Angst.
Disziplin ist eine der Funktionen in unserem Unterstützungskreis. Jede Funktion ist mit einer oder mehreren Personen aus unserem Umfeld besetzt. Wenn wir einzelne Positionen nicht mit Personen besetzen, übernehmen die Umstände die Funktion dieser Position. Das Leben „serviert“ uns so die Hinweise, die sonst von Freunden kommen.
Zwei weitere wichtige Positionen im Unterstützungskreis sind im Zusammenhang mit Disziplin der Anker und der Humor. Disziplin ist die Basis, Anker und Humor unterstützen uns auf unserem Weg.
Wenn es auf dem Weg Hindernisse gibt, hilft der Anker, den Boden unter den Füßen zu behalten. Er wird unsere Fortschritte loben und uns daran hindern, durch Vergleiche mit anderen den Mut zu verlieren. Wenn wir uns vergleichen, dann nur mit uns selbst. So sehen wir klar unsere Entwicklung.
Die Person in der Humor Position wird uns nicht nur die gute Laune erhalten, sondern auch dazu beitragen, dass wir über uns selbst lachen können, was jede schlechte Stimmung sofort beendet. Das Lachen und die Liebe, Humor und Anker, bilden das Sicherheitsnetz, wenn wir auf dem Trapez der Disziplin schwingen. Die Aktion ist in unserer Hand, wir sind jedoch nicht allein.
Disziplin ist eine Kunst. Man braucht Übung und Selbstvertrauen auf dem Weg zur Meisterschaft. Sie entfaltet sich am besten, wenn wir sie selbst initiieren, weil wir es wollen, um etwas zu erreichen, was uns zufrieden, stolz oder sonst Freude macht. Wenn uns Humor begleitet und wir mit beiden Beinen auf der Erde bleiben, wird der Erfolg nicht ausbleiben.
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