Einssein ist Ganzsein. Es existiert nichts außerhalb von mir, es gibt keinerlei Mangel.
Archaisch, "religiös verpackt", findet sich dieser Zustand in Psalm 23: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.", hier allerdings noch mit der klaren Trennung von Gott, der als Hirte des gläubigen Menschen, damit also
außerhalb und "höher" stehend, beschrieben wird.
"Einssein" nennt MICHAEL das höchste Entwicklungsziel einer Seele. Es ist somit ein Synonym für das Tao, dem
Ursprung allen Seins, zu dem alles zurückfließt.
Es ist also die Bewusstheit des Ganzen, das größer ist, als die Summe allen Bewusstseins.
Im Einssein ist jede Trennung aufgehoben, jede Dualität wiedervereint.
Ich könnte hier noch ein paar Versuche machen, Einssein zu beschreiben. Aber alle Versuche etwas zu beschreiben, das nicht beschreibbar ist, sind vergeblich.
Ist also Einssein für uns auf der physischen Ebene, im Körper, in unserer durch Dualität geprägten Welt nur eine intellektuelle Spielerei?
MICHAEL sagt, dass die Erfahrung des Einsseins nur möglich ist, wenn man als Kontrast auch das Getrenntsein erfahren hat. Das ist der Grund unserer Existenz als Seele. Das ist der Sinn des Lebens im Körper. Unsere Erfahrungen hier in der Dualität sind im Zustand des Einsseins nicht möglich.
Wie können wir dann aber Erfahrungen mit dem Einssein in einer dualen Welt machen, in der gerade das Gefühl von Getrenntsein das zentrale Bewusstsein der Menschen prägt?
Ich versuche es mal mit einem Vergleich:
Wir kennen in unserer Welt Trockenheit und Nässe. Es ist ein typisches duales Begriffspaar zur Beschreibung von Feuchtigkeit. Der Mensch besteht bei seiner Geburt zu 90% aus Wasser. Im Laufe des
Lebens sinkt dieser Anteil auf 60% beim Greis. Ein Säugling ist daran gemessen relativ feucht, ein Greis dagegen relativ trocken. Kopfunter in einem Teich ist unsere Umgebung zu 100 % Wasser,
mittags in der Wüste ist dagegen die Luftfeuchtigkeit mit ca. 20% sehr gering. Das sind alles Messwerte, dazu kommt aber auch noch die individuelle Wahrnehmung, z. B. abhängig von der Temperatur.
Ein warmer Regen erscheint uns angenehmer zu sein, als ein kalter Regen. Wer einmal am ertrinken war, wird Wasser als todbringend erlebt haben, für einen Verdurstenden ist Wasser etwas
Lebenserhaltendes.
Wir erleben Feuchtigkeit also sehr unterschiedlich, objektiv und subjektiv. Alles sind Erfahrungen von Feuchtigkeit, die wir individuell und graduell als trocken oder nass empfinden.
Feuchtigkeit wäre für uns ohne die Erfahrung von Trockenheit oder Nässe nicht erfahrbar und nicht beschreibbar. Es fehlt die Referenz, es gibt nichts Vergleichbares.
So ist es für mich auch mit dem Einssein und wie ich eingangs auch schon gesagt habe, mit seinem Synonym, dem Tao.
Wir können hier sehr viele Erfahrungen mit dem Einssein machen, obwohl und vielleicht gerade, weil wir getrennt sind.
Gemeinsamkeiten verbinden die Menschen, gemeinsame Interessen, gemeinsame Eltern, gemeinsame Rasse, gemeinsame Kultur, gemeinsamer Status usw., es gibt aber keine identischen Menschen, das gilt auch für eineiige Zwillinge, immer ist auch etwas da, was trennt. Es sind nur relative und graduelle Gemeinsamkeiten, so wie individuelle und graduelle Unterschiede.
Der Mensch ist darauf geprägt, zu vergleichen und zu bewerten. Anderssein wird immer als besser oder schlechter empfunden, je nach der persönlichen Meßlatte, die man in der Regel selbst ist. Man vergleicht mit dem was ist oder mit dem, was sein soll.
Der Beginn zum Gefühl des Einsseins ist das Bewusstsein, dass alles, was anders erscheint, nur eine Variante, eine andere Facette vom Selbst ist. In der Vielfalt kann man das Einssein in all seinen Spielarten erkennen, wenn auch nicht vollständig erfassen, da wir immer nur einen Ausschnitt wahrnehmen können und nicht das Ganze.
„Einssein mit der Natur“ ist z. B. eine Erfahrung, die auch von jedem Menschen unterschiedlich wahrgenommen wird. Für einen ist das schon ein Spaziergang im Wald, ein anderer umarmt einen Baum und spürt seine Energie, wenn er sensibel genug dafür ist, ein Dritter setzt sich für Umwelt- und Naturschutz ein und ein weiterer meditiert – mit oder ohne die Verwendung von Drogen - über das Einssein, indem er seine Aufmerksamkeit nur darauf richtet und so eine spirituelle Bewusstseinserfahrung macht. Jede Erfahrung ist wertvoll und bringt uns dem Verständnis für ein Phänomen näher, auch wenn wir es noch nicht vollständig erfassen und begreifen können.
Als körperliches Einssein wird Sexualität gern bezeichnet. Vorsichtig geschätzt, würde ich jedoch behaupten, dass in mehr als 90 % der Fälle das Bewusstsein des Einsseins beim Geschlechtsakt fehlt. Eine Umarmung kann mehr Nähe und damit mehr Einssein ausdrücken, als jede Form der gegenseitigen sexuellen Stimulierung. Gerade bei jüngeren Seelen ist die Ego-Komponente noch die treibende Kraft für geschlechtliches Beisammensein.
Sexualität hat etwas mit dem Wunsch nach Austausch zwischen den beiden Polen des Geschlechts zu tun und ist ein normales körperliches Bedürfnis. Es kann auch, im doppelten Wortsinn, ein Ausleben von Kreativität sein. Das „Spiel“ von Nähebedürfnis und Abstoßung und das Bedürfnis nach Austausch, um die damit verbundene Spannung auszugleichen, entspricht den kosmischen Gesetzen. Die „Regelung“ durch Religionen ist dagegen fehlgeleitete Spiritualität, die ihren Grund nicht in der Förderung seelischer Entwicklung, sondern in der Förderung von Ängsten zur Disziplinierung der Gläubigen und im Machtbedürfnis (Ego) der Kirchen hat.
Tantrische Sexualität, wie sie aus den fernöstlichen Religionen bekannt ist, wird im Westen meist nur als Variante zur Lustgewinnung betrachtet. Hinduismus und Buddhismus, die im Gegensatz zum Islam und zum Christentum, die Sexualität nicht verdammen und einengen, sehen in tantrischer Sexualität, die eingebunden ist in religiöse Rituale, einen Weg, Triebenergie in spirituelle Energie zu transzendieren. Für mich ist es ein religiös geprägter Versuch, Spiritualität zu leben, mit Sicherheit aber nicht der einzige Weg.
Für die Seele ist Sexualität eine Erfahrung von Körperlichkeit, Seelen haben kein Geschlecht. Dennoch – oder gerade deshalb – gehört diese Erfahrung mit zu den wichtigsten Erfahrungen, die eine erwachsene Seele macht, weil es in diesem Seelenalter um Beziehungen – auch sexuelle Beziehungen - jeder Art geht. Sexualität kann verbinden und auch trennen.
Für alte Seelen sinkt die Bedeutung sexueller Erfahrungen, sie haben schon alle Varianten erlebt und erfahren. Einssein ist für alte Seelen nicht mehr nur bilateral, sie beginnen den größeren Zusammenhang zu sehen. Sowohl das Bedürfnis nach Kommunität, als auch das Gegenteil, vollständige Trennung vom sozialen Leben sind hier die angestrebten Erfahrungen der Seele. Da hier das Ego schon schwächer geworden ist, spielt es keine Rolle mehr, ein guter Liebhaber oder eine erotische Verführerin zu sein, obwohl auch gerade das möglich ist.
Einssein, als Zustand, ist in der körperlichen Existenz nicht erreichbar. Einssein, als Gefühl, als Sehnsucht, als Bedürfnis
oder auch nur als Perspektive zu erleben, ist jedoch gerade hier möglich.
Es ist also für die Seele hier auf der Erde nicht nutzlos – im Gegenteil – Erfahrungen jeder Art mit dem Einssein zu machen. In unserer physischen Existenz machen wir physische Erfahrungen mit den Variationen von Einssein. Das ist die Basis. Auf den anderen Ebenen der Existenz – immer noch getrennt, aber mit einem weiteren Bewusstsein – gehen diese Erfahrungen weiter. Jede Ebene der Existenz bietet andere Möglichkeiten zur Entwicklung der Seele.
Ein intellektuelles Konzept ist zunächst eine Theorie, in der praktischen Erfahrung zeigt sich ihre Gültigkeit. Jede praktische Erfahrung trägt dazu bei.
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